„Einkommen ist die Grundlage, um arbeiten zu können, und nicht umgekehrt.“ Diese Grundthese von Prof. Götz Werner[1] irritiert zunächst im derzeit geltenden System und erfordert offenbar ein Umdenken in der Gesellschaft. Simpel und bestechend erscheinen in diesem Zusammenhang Überlegungen wie:

 

  • Habe ich keine ausreichenden Nahrungsmittel oder keine Unterkunft, bin ich nicht in der Lage, eine Erwerbstätigkeit auszuüben.
  • Habe ich nicht die Mittel zur Nutzung von Verkehrsmitteln, um zur Arbeitsstätte zu gelangen, ist mir die Arbeit verwehrt.
  • Gelingt es mir nicht, mich bei einer Bewerbung in dem erforderlichen Dresscode zu präsentieren, weil mir die Mittel dazu fehlen, werde ich den Job nicht erhalten.

 

Die Beispiele lassen sich unendlich erweitern und legen die Vermutung nahe, dass nur diejenige Person, welche bereits über Kapital verfügt, in der Lage ist, eine Arbeit aufzunehmen bzw. das Kapital dauerhaft wertsteigernd zu mehren.

 

In Deutschland haben wir bereits verschiedene Systeme der sozialen Sicherung. In jeder sozialen Notlage ist es möglich, entsprechende staatliche Hilfe zur Existenzsicherung zu bekommen, nämlich Arbeitslosengeld 1, Arbeitslosengeld 2 (sog. Hartz IV), Sozialhilfe, Hilfe in besonderen Lebenslagen, Kindergeld, Elterngeld, Mutterschaftsgeld, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Übergangsgeld, Wohngeld, Unterhaltsvorschuss, Berufsunfähigkeitsrente, Förderung nach dem Europäischen Sozialfonds, Wiedereingliederungshilfe, Rente, Witwenrente und so fort. Auch besondere zwangsläufige Ausgaben werden mit entsprechendem Antrag staatlicherseits berücksichtigt oder gar erstattet.[2]

Um auch Personen und Familien mit Einkommen die Existenz zu sichern, ist auf Seiten des Einkommensteuerrechts ein Grundeinkommen von der Steuererhebung freigestellt worden. Mit Grundfreibetrag, Kinderfreibetrag, Spendenabzug, Vorsorgeaufwand, Unterhaltszahlung, außergewöhnlichen Belastungen, Werbungskosten sowie deren Abzugspauschalen, Betriebsausgaben, Verlustvortrag und vielen anderen „Steuererleichterungen“ wird versucht, ein erwirtschaftetes Grundeinkommen einer Person in Höhe von 8.004,- € im Jahr 2012 vor staatlichem Zugriff zu schützen. Dabei wird ermittelt, wieviel von dem persönlich erwirtschafteten Geld letztlich überhaupt für private, nicht existenzielle Zwecke übrig blieb, um anschließend nur davon Steuern zu erheben.

Würde vielleicht also nur die Bedingung der vorherigen oder nachträglichen  Antragstellung für ein Grundeinkommen wegfallen? Insgesamt ist nämlich der für die Existenzsicherung festgesetzte Regelsatz für Leistungen nach dem SGB II zusammen mit den Kosten für Unterkunft in etwa ebenso hoch, wie der von der Einkommensteuererhebung ausgenommene Grundfreibetrag.[3] 

Im Insolvenzrecht findet sogar in der deutlich über dem Grundfreibetrag liegenden Pfändungsfreigrenze der Gedanke Niederschlag, dass ein oberhalb des Existenzminimums angesiedelter Betrag zur eigenen Verwendung des Insolvenzschuldners ebenfalls zur eigenständigen dauerhaften Überwindung existenzieller Notlagen motiviert.[4] Dies könnte auch bei der Bemessung der Höhe eines bedingungslosen Grundeinkommens richtungsweisend berücksichtigt werden, um nachhaltig eine positive Wirkung in der Gesellschaft zu erzielen. 



[2]    So jedenfalls ist die Situation nach Gesetzeslage. In der Praxis dauert aber z.B. die amtliche Bearbeitung der Neubeantragung von Leistungen nach dem SGB II in der Regel so lange, dass die in dieser Zeit nicht erfolgten Mietzahlungen den Wohnraumvermieter bereits zur Kündigung des Mietverhältnisses berechtigen. Auch die Bewilligung eines gesetzlich vorgesehenen Vorschusses erfolgt in der Regel erst, wenn alle nötigen Papiere vorgelegt wurden. Ein übergangsweise auszuzahlendes Darlehen zur Sicherung des Lebensunterhaltes gerät gerne auch schon einmal zufällig in den falschen Zahlungsweg, so dass Hilfe zum Überleben eben gerade nicht geleistet wird. Das existenzielle Überleben eines Bedürftigen ist in der Zeit zwischen Antragstellung und Bescheiderteilung mit anschließend tatsächlichem Geldeingang nicht gesichert. 

[3]    Für 2011 liegt die durchschnittliche Grundsicherung durch heutige Systeme bei 654,- € (Ronald Blaschke, aaO., S. 31). Mit auf das Jahr umgerechnet 7.848,- € lag sie damit um 156,- € unter dem jährlichen einkommensteuerlichen Grundfreibetrag von 8.004,- €.            
Dieser Gedanke findet sich insbesondere in der Berechnung der Sozialbeiträge innerhalb der  „Gleitzone“ bei Einkommen zwischen 400,- und 800,- € monatlich wieder.

[4]    „Die Freigrenze für Nettoeinkommen, die bei Pfändungen von Schuldnerinnen nicht unterschritten werden darf, leitet sich indirekt vom Existenzminimum ab, das mit dem Statistikmodell ermittelt worden ist. Denn es soll verhindert werden, dass Pfändungen die Betroffenen von der Sozialhilfe abhängig machen und damit den Sozialhilfeträgern Kosten aufbürden. So heißt es in der Begründung zur Erhöhung der Pfändungsfreigrenze im Jahr 2001: ‚Eine dauerhafte Entlastung der Sozialhilfeträger und ein längerfristiger Schutz der Gläubigerinteressen sind nur zu realisieren, wenn einerseits die Pfändungsfreigrenzen nicht alsbald erneut unter das Existenzminimum des Schuldners absinken, wenn andererseits aber auch dauerhaft ein moderater Selbstbehalt für den Schuldner sichergestellt ist. Dieser Selbstbehalt ist so zu bemessen, dass er auch in den unteren Lohngruppen noch einen Anreiz zu bieten vermag, auch im Fall der Pfändung des Arbeitseinkommens einer geregelten Erwerbstätigkeit weiterhin nachzugehen.’ (Deutscher Bundestag 2001a: 9) Es soll durch die Pfändungsfreigrenze erreicht werden, ‚dass der Schuldner in seiner Motivation gestärkt wird, aus eigener Kraft seinen Lebensunterhalt zu verdienen und seine Verschuldung zu überwinden’. (Ebenda: 1)“, Ronald Blaschke, aaO., S. 18.            
Die Pfändungsfreigrenze liegt im Jahr 2012 bei 1.028,89 €, § 850 c Absatz 1 und 2 Satz 2 ZPO.

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Verena Nedden
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